Einer meiner Ex-Freunde hat sich nach dem Studium als Ingenieur beworben und Dinge in seinem Lebenslauf angegeben, die ich konnte, aber er selbst nicht. Dreist denkst Du? Er kam wohl damit durch; es ist nie aufgeflogen.

Überrascht bin ich immer wieder, wenn ich heute noch auf Führungskräfte treffe, die mir sagen

  • „Ich wähle nach dem Bauchgefühl aus.“
  • „Mein gesunder Menschenverstand reicht. Innerhalb der ersten fünf Minuten, weiß ich ob er/sie geeignet ist oder nicht.“
  • Oder: „Wenn jemand Mannschaftssport macht, dann ist er teamfähig.“

Echt jetzt?! Ja, es gibt sie immer noch.

Und ich kann Dir auch aus persönlicher Erfahrung sagen: ein Teamsport als Vorhersager für Teamfähigkeit ist so viel wert wie ein Horoskop als Vorhersager. Ich habe selbst Teamsport gemacht und bin nicht sehr teamfähig…! 😉

Das Vorstellungsgespräch ist im Laufe der Jahre zu einem guten Auswahlinstrument geworden. Aktuellere Untersuchungen (Metaanalyse Schmidt et. al 2016) zeigen auf, dass die prognostische Validität bei r=0.58 liegt. Auch wenn das strukturierte und unstrukturierte Interview gleich gut abschneiden, bin ich der Überzeugung, dass Strukturierung hilft, den Interviewerfehler (siehe obige Aufzählung) zu reduzieren. Fokus in diesem Beitrag soll allerdings die Richtigkeit, die Glaubwürdigkeit von Bewerberaussagen sein. Eine Differenzierung, ob der Bewerber die berichteten Erfahrungen wirklich gemacht hat oder mir nur das erzählt, was ich vermutlich gerne hören will, ist extrem wichtig: wir wollen ja Bewerber mit echten Erfahrungen!

Und hier gibt uns die Glaubwürdigkeitsforschung wertvolle Hinweise, wie wir im Bewerbungsgespräch die Richtigkeit von Aussagen überprüfen können! Dies geschieht durch die Prüfung der sogenannten Erlebnisbezogenheit. Wie geht das?

Fünf Erkenntnisse aus der Glaubwürdigkeitsforschung von Zeugenaussagen für die Personalauswahl.

Eine Aussage ist glaubwürdig, wenn sie einen Erlebnisbezug hat. Dieser lässt sich durch fünf Dinge absichern:

#1 Detailreichtum

Zeugenaussagen: Auch nebensächliche Details können berichtet werden: über Orts-, Personen- und Handlungsbeschreibungen, die konkret auf die Situationen bezogen sind und auch aus dem näheren Beziehungsgeflecht. Eine Falschaussage lässt sich nicht mit vielen Details erfinden und handhaben. Die Zeugen scheitern bereits unter dem Aspekt der Informationsverarbeitungskapazität. Geringer Detailierungsgrad gibt immer Anlass zum Bedenken, am Erlebnisbezug einer Aussage.

Übertragen auf Bewerber: Die Aussagen des Bewerbers verfügen über einen hohen Grad an Details.

 

#2 Anschaulichkeit

Zeugenaussagen: Die Aussagen sind in sich stimmig und spezifisch. Es erfolgt eine originelle Schilderung von Sachverhalten.

Übertragen auf Bewerber: Die Schilderungen sind so, dass sich der Interviewer ein gutes Bild davon vor Augen führen kann.

 

#3 Logische Konsistenz

Zeugenaussagen: Die Gesamtsituation verfügt über innere Stimmigkeit, logische Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit. Die Situationsbeschreibung ist nachvollziehbar und zeigt plausible Zusammenhänge auf.

Übertragen auf Bewerber: Die Story wirkt stimmig. Die Erzählung ist für Dritte nachvollziehbar.

 

#4 Gefühlsbeteiligung

Zeugenaussagen: Die Aussage lässt sich mit erlebten Emotionen verbinden, die beschrieben werden, besonders bei erlebten Schwierigkeiten.

Übertragen auf Bewerber: Die eigenen Emotionen in der Situation werden beschrieben bzw. sind auf Nachfrage beschreibbar für den Bewerber.

 

#5 Ungesteuertheit

Zeugenaussagen: Der Befragte bemüht sich nicht um Kontrolle und Steuerung seiner Aussage. Es finden sich weder gedanklich noch non-verbal Zeichen für eine bewusste Verhaltenssteuerung mit dazugehöriger Bedenkzeit – keine gedanklichen Abstimmungsbemühungen werden sichtbar, sondern die Situation wird in einem natürlichen Erinnerungstempo vorgebracht.

Übertragen auf Bewerber: Die Schilderung wirkt flüssig und leicht formuliert.

 
Fazit

Frag in Bewerbungsgesprächen genau und wiederholt nach konkreten Beispielen: Werden die Situationen detailliert, locker und logisch beschrieben? Siehst Du die Situation vor Deinem geistigen Auge? Dann ist der Bewerber glaubwürdig.

Quellen 

  • Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen von l. Greuel, S. Offe u.a.
  • Schmidt, Frank L. and Oh, In‐Sue and Shaffer, Jonathan A., The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 100 Years of Research Findings (October 17, 2016). Fox School of Business Research Paper.